Die Welt ist eine andere geworden, seitdem die Menschheit mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 konfrontiert ist. Der Alltag der Menschen ist auf globaler Basis massiven Veränderungen ausgesetzt, wie man sie seit den Zeiten der Spanischen Grippe vor gut 100 Jahren nicht mehr gesehen hat. Fast alle Lebensbereiche werden durch die Auswirkungen der Pandemie bzw. der hierfür getroffenen Eindämmungsmassnahmen stark beeinflusst. Das gilt auch für die Art und Weise, wie Menschen und Institutionen mit dem Thema Geldanlage und Investieren umgehen.

Jedoch wäre es zu kurz gesprungen, die auf diesen Bereich wirkenden Veränderungen lediglich auf den Faktor «Pandemie» zu reduzieren. Vielmehr gilt auch hier wie in vielen anderen Sektoren die These, dass der bisherige Handlungsdruck auf Finanzdienstleister nicht ausreichend war, um das Geschäftsmodell neu zu gestalten.

Es bedarf unterschiedlicher Blickwinkel, um die Prozesse rund um die Geldanlage und die veränderten Kundenbedürfnisse zu analysieren. Auf der einen Seite ist das Verhalten der Marktteilnehmer relevant: Produktanbieter, Banken und Vermögensverwalter reagieren unterschiedlich auf diesen Wandel. Doch auch neue Ansprüche und Kriterien der Kunden führen zu Anforderungen, die nicht alle durch die vorhandenen Dienstleister und deren Leistungsportfolio gedeckt sind. Im Folgenden zeigen wir auf, wie sich das Kundenverhalten verändert, wie Dienstleister darauf reagieren können und sich der Wettbewerb insgesamt, auch durch Markteilnehmer aus anderen Branchen, neu sortiert.

1. Kunden

Menschen und Institutionen sind in ihrer Eigenschaft als Geldanleger seit dem Ausbruch der Corona Pandemie mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Im Spannungsfeld einer Unmenge in Echtzeit verfügbarer Daten, die über soziale Medien noch multipliziert werden, und einem insgesamt gestiegenen Bedürfnis nach belastbaren Informationen rücken Fragen zur eigenen Lebenssituation und den eigenen (finanziellen) Zielen und Wünschen noch stärker in den Mittelpunkt.

So haben viele Anleger die Zeit des Lockdowns genutzt, um diese Fragen zu reflektieren. In der Folge konnten viele Finanzdienstleister über eine gestiegene Nachfrage nach Beratungsdienstleistungen in dieser Zeit berichten und ebenfalls nicht wenige davon auch über eine deutlich erhöhte Transaktionsdichte, verbunden mit entsprechenden positiven Effekten auf die Provisionseinnahmen, z.B. im Wertpapiergeschäft. Hier waren aber nicht nur die vermeintlichen Pioniere der Digitalisierung wie Neo-Banken und Neo-Broker die Gewinner, sondern auch viele in der klassischen Beratung tätige Häuser.

Neben diesen stark operativ geprägten Umständen als unmittelbare Konsequenz der Coronakrise beeinflussen auch längerfristige Trends das Verhalten von privaten (und auch institutionellen) Investoren. Der Wunsch nach einer ganzheitlichen Betrachtung, welche die Ziele und Wünsche des Kunden berücksichtigt, aber auch die eigene Vermögenssituation komplett erfasst und daraus die passende Anlagestrategie ableitet und umsetzt, ohne dabei die Wert- und Anlagevorstellungen eines Kunden zu vergessen, wird von einer immer grösser werdenden Zahl von Kunden nachgefragt. Entsprechende Studien von EY und CapGemini (siehe Quellenangaben unten) zeigen, dass eine hohe Zahl von Kunden für eine solche Beratung auch den Anbieter wechseln würde, speziell wenn besondere Lebensereignisse anstehen, wie Jobwechsel, Familiengründung oder der Unternehmensverkauf. Das gilt über alle Kundensegmente hinweg von Retail über Affluent bis hin zu HNWIs oder UHNWIs.

Als wesentlicher Aspekt in diesem Kontext gilt die Frage nach den Präferenzen eines Kunden. Diese übergreifend zu verstehen und umzusetzen bedarf mehr als eines MIFID-II-konformen Fragebogens.

Fragen rund um die Nachhaltigkeit sind entscheidende Bestandteile einer zutreffenden Profilierung eines Kunden und sollten über die pure Regulatorik hinausgehen:

  • Wie steht ein Kunde zu den unter den Begriffen Environmental, Social und Governance (ESG) zusammengefassten Fragestellungen?
  • Gibt es möglicherweise sogar unterschiedliche Ansichten zu den einzelnen Themen innerhalb des ESG Kontextes?
  • Möchte ein Kunde mit seiner Anlage einen tatsächlichen Effekt erzielen, Stichwort Impact Investing?

Natürlich gehört zu diesem Überbegriff auch die Frage nach den generellen Anlagepräferenzen:

  • Aktiv vs. Passiv
  • Big Player vs. Investment Boutique
  • Quantitativer vs. qualitativer Investmentprozess
  • v.a.m.

Viele dieser Sachverhalte lassen sich unter dem Trend der zunehmenden Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen zusammenfassen. Wer heute Autos oder Turnschuhe im Internet flexibel konfigurieren und «designen» kann, wird vermutlich mit einer Anlagestrategie von der Stange nur wenig anfangen können.

2. Dienstleister

Während sich Handlungsmuster und Bedürfnisse von Kunden durch die Coronakrise verschoben haben, waren Finanzdienstleister wie Banken, Versicherungen, Vermögensverwalter gezwungen, auf diese Änderungen kurzfristig und flexibel zu reagieren. Das war für manchen Marktteilnehmer eine immense  Herausforderung, denn durch den starken Anstieg der Privatvermögen in den letzten Jahren und der damit verbundenen, komfortablen Ertragssituation war der Handlungsdruck zur Umsetzung struktureller Anpassungen im Geschäftsmodell auf Wealth Manager und Vermögensverwalter in der Summe eher gering.

Dennoch werden durch Corona die Wachstumszahlen der Vergangenheit nicht wiederholt werden können, denn unabhängig der Vermögenszuwächse in manchen Kundengruppen sind auch viele Menschen auf ihre Ersparnisse und Anlagen angewiesen, um Einkommensausfälle zu kompensieren. Zusätzlich wird sich ein zweites Corona-Jahr in Bezug auf die Transaktionsdichte nur schwer wiederholen lassen, des Weiteren üben die Negativzinsen immer stärkeren Druck auf die Profitabilität aus, denn mehr und mehr Anlageregionen und Währungen befinden sich zumindest im kurzfristigen Bereich in negativem Zinsterrain und lassen die teils hohen Cashbestände von Kunden für die Geldhäuser teuer werden.

Naturgemäss gilt der erste Blick in solchen Situationen den Kosten, hier sollten Banken und Vermögensverwalter auf ihre Strukturen schauen und kritisch prüfen, inwieweit ihre Wettbewerbsfähigkeit durch ihr «Ausgabeverhalten» beeinträchtigt sein könnte, kostenintensive Alt-IT Systeme, lokal überdimensionierte Vertriebseinheiten, ineffiziente Produktpaletten spielen hier sicherlich eine Rolle. Die Pandemie wird folglich zu einem Katalysator für möglicherweise auch schwierige Entscheidungen, aber auch ein Beschleuniger sinnvoller, strukturell notwendiger Anpassungen, welche langfristig die Zukunftsfähigkeit sicherstellen können.

Im direkten Zusammenhang damit steht die Einnahmeseite, Gebühren- und Preismodelle bedürfen einer Anpassung an die veränderten Marktstrukturen, die auch schon vor dem Ausbruch der Pandemie dynamisch in Bewegung waren und Margen unter Druck kommen liessen. Zur Diskussion steht das traditionelle Regime der prozentualen Vergütung auf Basis der Vermögenshöhe, welches viele Kunden als nicht mehr zeitgemäss empfinden bzw. in Anbetracht mancher Alternativen (z.B. Robo-Advice) als schlichtweg zu teuer einordnen. Alternative Modelle wie honorarbasierte oder performanceabhängige Entlohnung werden zunehmend für Anbieter interessant, denn sie bieten mit den richtigen Instrumenten in der Kundenbetreuung das Potential, durch Wettbewerbsvorteile stärker als der Markt zu wachsen.

Zukünftig sind einfachere und leichter zugängliche Interaktionen zwischen Kunde und Finanzdienstleister gefragt. Dem Trend zur Hyper-Individualisierung kann ein Dienstleister mit echter personalisierter Beratung und Information Rechnung tragen und Kundenbeziehungen festigen. Der dadurch gewonnene Informationsvorsprung gegenüber den Mitbewerbern ist dabei zentral, um mittels gezielter Ansprache und Begleitung des Kunden deutliches Upselling Potential erschliessen zu können.

In diesem Zusammenhang müssen auch die Beratungsprozesse und -werkzeuge einer kritischen Prüfung unterzogen werden: Mehr ganzheitliche, zielbasierte Beratung und Optimierung statt produktorientiertem Vertrieb von Einzellösungen, die oft nur scheinbar individuell ausgerichtet sind. Dies am besten eingebettet in ein multikanalfähiges Konzept der Beratung und Betreuung vor Ort, per elektronischer Medien oder auch komplett online über selbsterklärende Client Journeys auf der Website eines Anbieters.

3. Wettbewerb

Wie in vielen anderen Bereichen hat sich die Konkurrenzsituation auch im Wealth Management bzw. Private Banking massiv verändert und stellt sich heute deutlich facettenreicher als noch vor wenigen Jahren dar.

Hatten einst Banken und Vermögensverwalter mit den neu etablierten Onlinebrokern wie Comdirekt oder Consors zu kämpfen, werden diese nun selbst wieder von neueren Anbietern aus der Fintech- und Wealthtechszene disruptiert und kämpfen mit Neo-Banken und – Brokern um lukrative Assets. Darum gruppieren sich noch Anbieter von Multibanking-Apps rund um Girokonten und Zahlungsverkehr, die durch ihre detaillierten Kenntnisse aus dem Einkaufsverhalten ihrer Nutzer massgeschneiderte Angebote auch im Anlage- und Sparbereich offerieren können. Des Weiteren werden zumindest wohlhabende Kunden vermehrt von Asset Managern direkt angesprochen, die mit direkten und attraktiv gestalteten Services den Umweg über andere Vertriebseinheiten (cut out the middle man) vermeiden können.

Zu guter Letzt sollten auch die Aktivitäten der sogenannten Big Techs nicht unterschätzt werden. Deren Nutzer zeigen eine hohe Bereitschaft, neue Angebote zu nutzen und die Konzerne erhöhen ihre Aktivitäten auf der Kundenseite des Finanzmarktes, um jenseits des angestammten Geschäfts die weiterhin geforderten, hohen Margenzuwächse zu erzielen. Der jüngste Relaunch von Google Finance kann hier als Beispiel dienen, selbst wenn das von einigen nur als Testballon interpretiert wird.

4. Fazit

«Die Breite in der Spitze ist dichter geworden» wurde einst schon von Berti Vogts konstatiert. Das gilt auch für die Themenbereiche des Geldanlegens und Investierens, Privatanleger haben heute eine Vielzahl an Anbietern zur Verfügung, die unterschiedlichste Zugangswege offerieren und in unterschiedlichster Granulierung Dienstleistungen anbieten.

Für etablierte Anbieter bieten sich auch in diesem Umfeld Möglichkeiten zu wachsen und dem anspruchsvoller werdenden Wettbewerbsumfeld Paroli zu bieten. Entscheidend werden die Differenzierungsmöglichkeiten in der Betreuung von Kunden sein. Wer über moderne und flexible Modelle wie hybride Beratung und mehrkanalfähige Angebote verfügt, dem Kunden einfache und attraktive Zugangsmöglichkeiten bietet, wird vom oben beschriebenen Wandel eher profitieren als darunter leiden.

Am Ende werden jene Organisationen als Gewinner aus diesem «Rennen» hervorgehen, die am besten in der Lage sind, den Kunden und seine Bedürfnisse als Ganzes zu begreifen und Angebote masszuschneidern. Eine echte holistische Beratung unter Einbezug aller Vermögenswerte, auch jener, die nicht bei der Hausbank liegen, der laufendenden Finanzierungen und Alterseinkommen, der Ziele und Lebensereignisse macht aus dem klassischen Wealth Manager dann endlich den «Trusted Advisor», nach dem alle Wealth Manager streben.

Quellen

CapGemini World Wealth Report 2020
BCG Global Wealth 2020 – The future of wealth management
EY 2019 German Wealth Management Report